Break the rules
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Als ich die Klasse betrete, gerade noch recht­zeitig vor dem Klassen-Gong, kommt von allen Seiten „Hallo Gabi“. Und von Aslan: „Storytelling!“ Er weiß, was in den nächsten zwei Stunden hier abgehen wird.

Heute und dieses Schuljahr ist Simone in der Klasse. Sie bringt Motion Design in die writers:class. Von der Post-It Geschichte übers haptische Erzählen mit Ton bis zum Comic – Simone steckt voller Ideen und Überra­schungen. In der letzten Stunde hat jede:r einen eigenen Comic gezeichnet und geschrieben — mit wenigen Wörtern und viel Inhalt. Diese Stunde geht es ans Cover.

„Hey Ruben, du bist mein Main Charakter!“, ruft Lorenz durch die Klasse. Ruben, groß, schlank, lange Haare, Brille nickt nur, ohne den Charakter gesehen zu haben. Als ich das Bild vom Main Charakter Ruben sehe, ist (fast) alles klar. „Comic Ruben“ hat einen Ball-runden Bauch, eine Zigarette im Mund, ein Bier in der Hand. Was er in seiner Geschichte erlebt, verrät mir Lorenz noch nicht. Um mehr zu erfahren, muss ich sein Comic lesen.

„Simone, wie kann ich eine Wasser­rutsche zeichnen?“, fragt Kimi und macht, an der Stirn ansetzend, eine ganz spezi­fische Bewegung mit seinen Händen. „Eine Wasser­rutsche“, sagt er noch einmal, und schon wieder versucht er mit seinen Händen etwas anzudeuten. „Halt so Haare… So eine Frisur…“, fügt er hinzu. Nun versteht Simone, worum es geht und hilf Kimi mit dem Zeichnen des Haarstils namens Wasserrutsche.

Mein heutiger Banknachbar trägt ein Sweat­shirt mit der Aufschrift „break the rules“. Ein kleines bisschen brechen auch wir heute die Rules. Denn die writers:class kann nicht nur schreiben, sondern auch Geschichten in Bildern erzählen. In einem Comic-Strip und mit dem Cover. Geschichten vom Devil, von Zombies, von Ruben, von Fußball, von Königen und Feinden und vom König der Feinde. Denn sie erzählen ihre Geschichten im Zeichnen, nicht im Schreiben. Oder fast nicht.

Schon vier Jahre lang begleiten wir diese Klasse. Zu Beginn wussten wir nicht, wen wir hier antreffen und kennen­lernen dürfen. Sie wussten nicht genau, auf was sie sich einlassen mit diesem Projekt, mit dieser writers:class. Wir alle wussten aller­dings, dass wir Lust haben, das gemeinsam anzugehen. Das lustvolle Schreiben und Erzählen von Geschichten. Aus unter­schied­lichen Blick­winkeln, in unter­schied­lichen Formaten und mit unter­schied­lichen Menschen.

Wie schön, wieder in der Klasse sein zu dürfen. Zwei Stunden lang darf ich einmal im Jahr eintauchen in die Schulwelt abseits der Schulwelt. Denn die writers:class ist wie eine Insel im Schul­alltag. Und das zehn Mal pro Jahr. An der MS Hasenfeld und in dieser Klasse sind wir gemeinsam mit dem Litera­turhaus Vorarlberg nun schon im vierten Jahr. Wir durften mit den Schüler:innen wachsen. Birgit, die Klassen­leh­rerin, sagt immer wieder, was für ein Geschenk die writers:class ist. Auch wir wurden in den letzten vier Jahren beschenkt. Mit WORTzu­fällen, mit Schleich­weg­ge­schichten, mit einem mini Poetryslam und vor allem durch die unglaub­liche Offenheit, Kreati­vität und die Soziale Kompetenz, die diese Klasse ausstrahlt. Comics sind am Entstehen. Was im Rest des Schul­jahres noch passieren wird und darf, darauf sind wir neugierig.

„Wann ist die nächste writers:class?“, fragt Lorenz zum Abschluss mit Vorfreude. Ein schöneres Kompliment hätte er gar nicht machen können.

Die writers:class an der MS Hasenfeld Lustenau ist eine Koope­ration vom Litera­turhaus Vorarlberg und vom W*ORT. Finan­ziert wird die writers:class von der Bildungs­ab­teilung der Markt­ge­meinde Lustenau.

“Devil of Dooms” zeichnet Aslan. Als ich ihn nach dem Titel frage, liest er ihn in „Doom-Sprache“ vor. Er versetzt sich wohl gleich in die Rolle.

Und sonst so?