„Bitte, können wir heute nicht schreiben?“
So begrüßten zwei Schülerinnen Suat heute. Zur Schreibwerkstatt. Bereits in der Garderobe.
„Schwierig“, meint Suat, „denn wir werden ein Buch schreiben.“
„Was habt ihr denn in den Ferien gemacht?“, fragt Suat dann zum Einstieg. Er hört Erzählungen vom Schlafen und vom Zocken, von Sibratsgfäll im Schnee, vom Weihnachtsfest, vom Glücksmoment, als der Schüler merkte, dass er ausschlafen kann, von Silvester und Silvesterpannen und einer Silvesterübernachtung in der Moschee, vom Wachbleiben bis um 6 Uhr am Morgen, vom Ausschlafen bis um 2 Uhr am Nachmittag und von einer verlorenen Stunde unter Betäubung im Krankenhaus. Eigentlich alles Kürzestgeschichten, eigentlich alles Geschichtanfänge. Und einen solchen bringt Suat mit in die Doppelstunde und teilt ihn auf dem Smartboard.
Prompt kommt aus der Klasse: „Müssen wir jetzt schreiben?“
„Ja“, antwortet Suat, „wie immer.“
Als die 19 Schüler:innen, die gemeinsam fünf Sprachen sprechen, ins Schreiben kommen, merkt man sofort, dass es kein „Müssen“ ist. Dass sie Spaß dabei haben. Beim Schreiben. Es wird gelacht, Halbsätze werden vorgelesen, es wird beraten, es wird weitergeschrieben. Ohne jedes Müssen. Denn aus dem Geschichtenanfang, den Suat mitgebracht hat, wird eine Reihumgeschichte gezaubert. Gemeinsam. Beziehungsweise 19 Reihumgeschichten. Ein Mädchen liest sich selbst den letzten Satz auf dem vor ihr liegenden Blatt laut vor: „Ich mag keine Nüsse.“ – wie soll es da jetzt weitergehen?, sagt sie in den Raum hinein, ohne jemanden zu adressieren? Und schon setzt sie die Spitze der Füllfeder aufs Papier und schreibt weiter. Satz für Satz entsteht eine Geschichte. Ob diese Sinn machen wird, sehen die Schüler:innen und jungen Schreibenden erst am Ende. Ein Schüler bringt es auf den Punkt: Wenn wir das vorlesen, dann ist er ge-cooked. Das Kichern ist vorprogrammiert.
Drei Sätze vor Ende verkündet Suat den letzten Satz der Geschichte: „Suat ist eingeschlafen“ soll dieser lauten. Der letzte Satz aller 19 Geschichten. Nun müssen die Schüler:innen auf eben diesen Schluss hinarbeiten. Wie in jeder Runde wird es zuerst leise, die Geschichte bis jetzt wird von den einzelnen Schüler:innen im Kopf gelesen, ein Satz hinzugefügt. Der Lärmpegel erhöht sich wieder, sobald der Satz fertig ist. „Und weitergeben“, hört man Suat sagen. Das Blatt wandert weiter, die Geschichten mit ihm.
Nun lesen die Schüler:innen die Geschichten vor. Sind sie zufrieden damit? Von „ja, ja“ bis „NEIN!“ ist alles dabei. Überraschenderweise sind tatsächlich 19 Geschichten entstanden, die mehr oder weniger verständlich sind. 19 Geschichten mit einem roten Faden. Geschichten auf Deutsch, im Dialekt, in Jugendsprache und mit erfundenen Wörtern. Geschichten vom Spielen, Essen, Urlaub. Ein Toter ist natürlich auch dabei. Und eine Geschichte mit „Klohumor“. Wie könnte die fehlen.
Als Mäuschen in der Klasse versteht man nicht jedes Wort, das vorgelesen wird. Es ist die Rede von „Sigma“, von Jean Paul und von ge-cooked werden. Der ein oder andere Satz macht wenig Sinn, wenn man älter als 15 ist. ABER die Gleichaltrigen lachen im Chor, verstehen wohl, was die Co-Autor:innen sagen wollten. Und genau darum geht es. Eine Geschichte zu schreiben, die ihre Freund:innen gerne lesen würden. Fortsetzung folgt und wir freuen uns. Und wenn wir nicht alles verstehen werden, dann lassen wir es uns von den jungen Autor:innen übersetzen.