Beim Flanieren poeti­siert werden
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Man hätte meinen können, Schüler*innen beim Flanieren ertappt zu haben. Und das an einem Schultag, mitten am Morgen. Da kam die Lehrerin ums Eck und gemeinsam steuerte die Gruppe aufs BOTTA in Lustenau zu. Am Flanieren, möglich, und das im Turn- oder vielleicht auch im Deutsch­un­ter­richt, denn die Klasse befand sich auf einem poeti­schen Spaziergang. Auf der Suche nach Worten und Gedichten von zehn Autor*innen und elf Schrei­benden aus Lustenau. Mitten IN Lustenau? JA, mitten in Lustenau! Allen voran suchte diese Gruppe das Gedicht ihrer Mitschü­lerin Georgiana C., deren Zeilen neben den Worten der Autorin Nadine Bösch bei der Eisdiele Dolomiti zu finden sind.


Wie alles begann…

Gemeinsam mit Frauke Kühn von literatur.ist entstand im November 2020 die Idee der #fenster­poesie.  Es sollte eine kleine und feine kultu­relle Inter­vention im öffent­lichen Raum werden, die die Bevöl­kerung berührt und zum Mitmachen einlädt. Dann passierten ihnen Fenster. Leerste­hende Schau­fenster in Hohenems, die ihnen für die #fenster­poesie zur Verfügung gestellt wurden. Und schon erschienen 18 Gedichte von Autor*innen und Mitmacher*innen in den Schau­fenstern, gekonnt und freihand von Verena Marte vom Kreativ­kol­lektiv MOHAP auf die Scheiben gezaubert.


Die #fenster­poesie soll reisen, das haben sich die Initiator*innen des Projektes von Anfang an gewünscht. Bevor dieser Satz durch die FFP2-Maske hindurch das Ohr der Kultur­amts­lei­terin Lustenaus, Claudia Voith, erreichte, sagte diese schon: „Wir wollen das in Lustenau!“ Ein wunder­bares Frauenteam ergänzt durch das geschulte Auge des Fotografen Miro Kuzma­novic setzte das Projekt in Lustenau um, wo nun 21 Gedichte neun Schau­fenster entlang der Kaiser Franz Josef Straße zieren.


Als Brücken­baue­rinnen gefiel Gabi und Frauke die Idee, die „Brücke“ zum Thema der Lustenauer #fenster­poesie zu machen. Die Brücke erlaubt es uns, mit dem Gegenüber in Austausch zu kommen, sie verbindet, wurde oft gemeinsam erbaut und hilft uns dabei, Themen, Hinder­nisse, natür­liche Schranken zu überwinden – insofern war der Begriff als inhalt­licher Ausgangs­punkt für den Projekt-Gedanken geradezu perfekt. Die Tatsache, dass man Lustenau aus allen Himmels­rich­tungen nur über eine Brücke erreichen kann, unter­strich die Bedeutung dieses Wortes für den Ort selbst.


© Miro Kuzmanovic

Reisen von Gedanken und Gedichten erlaubt!

Den Gedanken der zehn profes­sionell Litera­tur­schaf­fenden wurden Gedichte von elf Schüler*innen und Lustenauer Bürger*innen zur Seite gestellt. Mehr als 150 Einrei­chungen von sechs Schul­klassen, der Offenen Jugend­arbeit Lustenau und von ambitio­nierten Lustenauer Bürger*innen, die ihre Gedanken zu Papier brachten, landeten im Postkasten des Projekt­teams. Die fein kuratierte Auswahl ist nun auf den Fenstern zu sehen. Bis Ende Mai bringen die spannenden, berüh­renden, überra­schenden und witzigen Wort-Stücke Poesie in den Alltag. Die von Miro fotogra­fierten Schau­fenster werden nun in ein Postkar­ten­büchlein verwandelt und dürfen dann in dieser Form weiter­reisen, weiter berühren.


Das Volk braucht Poesie wie Brot

„Gestern hat mich meine kleine Radtour durch Lustenau geführt und — total zentral beim „BOTTA“ — habe ich mich wieder­ge­funden, irgendwie ganz neu, so hübsch unauf­dringlich gestaltet! Und in einer ziemlich phäno­me­nalen Reihe von poeti­schen Kurzge­schichten, unter denen ich mich wohl fühle, nicht nur weil zwei bis dato unbekannte Stake­holder im poeti­schen Universum — nämlich  „WUI“ und „Knall­effekt“ — auftreten und Positionen markieren.


Was Sie da tun berei­chert den Durch­blick (hoffentlich nicht nur) der Lustenauer*innen beträchtlich! Simone Weil (1909–1943) könnte richtig liegen, wenn sie meint: „Das Volk braucht Poesie wie Brot …“, schrieb uns Autor Walter Buder, nachdem er sein Gedicht in Lustenau entdeckt hatte. Während Autor*innen nicht nur berüh­rende Gedichte, sondern auch ebensolche Emails schreiben, wird eine Schul­klasse beim Flanieren „ertappt“ und auf den Gesichtern von Passant*innen, die im Vorbei­gehen poeti­siert werden, wird ein Lächeln entdeckt. Das ist #fenster­poesie in Lustenau.


© Miro Kuzmanovic

#fenster­poesie in Lustenau: ein Koope­ra­ti­ons­projekt von W*ORT, literatur.ist und der Markt­ge­meinde Lustenau

Und sonst so?